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Beitrag des Team Mitte für das Quartiermagazin

Kinder und Jugendliche sind von der Corona-Pandemie in hohem Masse betroffen. Gemäss der Studie Psychologische Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie auf Kinder & Jugendliche» von Prof. Dr. phil. Stefanie Schmidt, Assistenzprofessorin Klinische Psychologie des Kindes- und Jugendalters an der Universität Bern, sind Jugendliche besonders betroffen von Einsamkeit aufgrund der fehlenden Kontakte zu Gleichaltrigen, von durch die Pandemie resp. der staatlich verordneten Schutzmaßnahmen ausgelösten Spannungen und sogar Gewalt innerhalb der Familien sowie von großen Zukunftsängsten aufgrund der langen Dauer und dem ungewissen Ausgang dieser Krise. Die im Rahmen der Studie befragten Jugendlichen leiden deshalb an Traurigkeit bis hin zu Depression und Aggressionen.
 

Ein Auszug aus einem Gespräch vom Dezember 2020 mit zwei Jugendlichen, die in der Ausbildung als Fachpersonen Gesundheit sind – sie möchten anonym bleiben:
 

J1: «Für mich fing das Jahr 2020 richtig s******* an. Es passierte schon viel in der Pflege, wo ich arbeite und dann kam Corona und hat alles auseinandergenommen. Ich musste die ganze Zeit einspringen, das war undankbar… Es gab nichts Positives in diesem Jahr für mich. Ich weiss nicht, was ich dazu sagen soll… Es war nur richtig s*******. Dieses Jahr ist so richtig s*******, weil jeder egoistisch ist. Jeder schaut nur für sich selber, man schaut nicht bei den anderen nach, wie es ihnen geht.»
 

J2: «Einfach nur traurig… Nur Corona! Corona, Corona, Corona… Es war nur s*******. Wir haben unsere Gesundheit riskiert, wir riskieren sie immer noch, um für andere da zu sein. Sie fragen uns nicht, wie es uns selber geht. Vielleicht habe ich einen Vater, dem es auch nicht gut geht? Was ich auch nicht verstehe ist, dass die Jugendlichen im Stich gelassen werden. Wir gehören nicht zur Risikogruppe und wenn wir positiv getestet sind, dann ist es easy, alles gut. Von einem anderen Lernenden habe ich mitbekommen, dass die Fachperson zu ihm gesagt hat, dass er zu den PatientInnen gehen soll, die von Corona betroffen sind und in der Isolation sind. Da er ja jünger sei.

Und weisst du was, den Jugendlichen wurde in diesem Jahr die Freiheit weggenommen und das hat sie zerstört.»
 

Auszüge aus einem Interview mit zwei fünfzehnjährigen jungen Frauen* zum Jahresabschluss 2020:
 

J3: «Es war für mich ein sehr schwieriges Jahr. Ich musste auf das verzichten, was ich am liebsten habe. Auf soziale Kontakte verzichten müssen, meine Familie im Ausland nicht sehen können und noch vieles mehr.

Für das neue Jahr wünsche ich mir, dass es besser wird als in diesem Jahr. Ich habe nicht grosse Erwartungen (…) ich wünsche mir für das neue Jahr, dass ich mein Praktikum, worauf ich so sehnsüchtig warte, dort machen kann, wo ich das möchte. UND, dass alles wieder so wird, wie vor Corona. Ok, ich habe viele Wünsche… Aber es sind eben Wünschen und vielleicht werden einige wahr.»
 

J4: «Ich habe das Jahr auf jeden Fall sehr aufregend erlebt. Am Anfang war ich sehr verunsichert, was das Ganze sein soll. Ich kam nicht nach, es hat mich am Anfang auch nicht gross interessiert. Ich dachte ganz ehrlich, so blöd wie die Menschheit sein kann, passiert doch ständig etwas. Etwas mehr, ist ja nicht so schlimm. Aber als ich irgendwann realisiert habe, dass ein Risiko besteht und etwas passiert, was nicht positiv ist, hat mich das schon zum Denken gebracht. Vor allem dann, als es zum Lockdown kam. Ich sass alleine in meinem Zimmer und musste alleine versuchen, mich zu konzentrieren und ich hatte niemanden, den ich etwas fragen konnte. Am Anfang fühlte ich mich sehr verloren, aber ich bin sehr, sehr dankbar für diese Erfahrung, weil beim nächsten Mal, wenn es stärker wird, dann bin ich vorbereitet und weiss, wie ich das machen kann. Dieses Jahr war ich sehr angeschlagen. Ich hätte mir das nie vorgestellt, mal Masken zu tragen. (…) Aber mich stört es gar nicht mehr und ich mache es auch gerne, weil ich weiss, ich helfe jemanden damit.

Ich musste durch den Lockdown. Ich hatte schon vorher ein bisschen Mühe, aber im Lockdown war ich psychisch angeschlagen und musste anfangen, Medikamente zu nehmen. Es war sehr schwierig. Ich kann nicht alleine, ich muss nach draussen gehen, ich kann nicht einen Tag lang Zuhause…Man kann sich nicht mehr mit mir unterhalten, ich bin dann eine Katastrophe. Ein wichtiges Thema war auch zu lernen, selber und alleine zu arbeiten. Ich kann das mittlerweile sehr gut und kann es mir auch nicht mehr anders vorstellen.»

 

Exkurs Entwicklungspsychologie:

Das Jugendalter stellt seine ganz eigenen Herausforderungen oder Lernaufgaben an die Menschen. Die Bewältigung dieser Aufgaben bringt Entwicklungsschritte mit sich und führt zu erweiterten Kompetenzen der jungen Menschen.

Nicht alle Menschen haben die gleichen Bedingungen, um sich zu entwickeln. Kinder/Jugendliche wachsen in unterschiedlichen Umfeldern (Familie, Schule, Ausbildungsbetrieb, Freundeskreis) auf, die verschiedene und qualitativ unterschiedliche Lernerfahrungen ermöglichen. Wenn Jugendliche sich unterstützt und ernst genommen fühlen sowie ihren Möglichkeiten entsprechend gefördert werden, sie positive Vorbilder haben und ohne finanzielle Not und familiäre Belastungen aufwachsen können, sind dies Schutzfaktoren, die sich positiv auf ihre Entwicklung auswirken können. Wenn Jugendliche in einem ablehnenden, vernachlässigenden oder stressbelasteten Umfeld (z.B. Gewalt, kranke Eltern, Armut, aber auch Krieg oder Naturkatastrophen) aufwachsen, sind dies Risikofaktoren für die Entwicklung.Im Jugendalter ist die Frage: „Wer bin ich?“ zentral, denn die Jugendlichen müssen lernen, eine Vorstellung von sich selbst zu entwickeln. Sie müssen sich damit auseinandersetzen, wer sie sind, was sie wollen, wie sie soziale Beziehungen pflegen wollen, was ihre wichtigen Lebensziele und Werte in den Bereichen Beruf, Ideologie (Religion, Politik), Sexualverhalten etc. sind.

Das Jugendalter ist ausserdem eine entscheidende Phase in der Reifung des Gehirns und das Gehirn entwickelt sich in dieser Zeit weit dynamischer als lange vermutet. Die Gehirnentwicklung wird auch von den Erlebnissen Jugendlicher mitgeprägt. Aufgrund der neurobiologischen Erkenntnisse zur Gehirnentwicklung ist u.a. erklärbar, wieso gewisse Jugendliche Mühe haben können ihren Tag zu planen, Prioritäten zu setzen und Impulse zu unterdrücken.

Im Weiteren weckt die körperliche Reifung und das damit einhergehende Erscheinungsbild in der Aussenwelt Erwartungen, d.h. die Jugendlichen sehen sich mit Erwartungen konfrontiert, welchen sie (noch) nicht gerecht werden können. Der Schluss vom Körper auf die soziale Reife ist nicht zulässig und kann zu Überforderungssituationen bei den Jugendlichen führen.

Quelle: https://www.bgm-ag.ch/files/public/literatur/pdf/entwicklungspsychologische-aspekte.pdf

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